Begründung für meine Unterstützung des Statements von Lehrenden an Berliner Universitäten
geschrieben am 10. Mai 2024 auf Anfrage des WDR für den Artikel Antisemitismus an Unis: Wie umgehen mit Pro-Palästina-Camps?
Ich unterstütze das besagte Statement der Lehrenden aus vielfältigen Gründen:
1) Ich stimme den Aussagen des Statements uneingeschränkt zu.
2) Die Äußerungen von Bettina Stark-Watzinger zu dem Statement zeugen von einer Arroganz und Ignoranz, die sie als Bundesbildungsministerin disqualifizieren. Frau Stark-Watzinger diffamiert die Verfasser des Statements, ohne sich auch nur ansatzweise mit ihren Positionen oder gar denen der Demonstranten auseinanderzusetzen. Erst durch die mediale Berichterstattung über ihre haltlosen Äußerungen wurde ich auf das Statement aufmerksam. Streisand lässt grüßen.
3) Ich erkenne in den politischen Reaktionen eine allgemeine Unfähigkeit, sich konstruktiv mit Positionen auseinanderzusetzen, die man selbst möglicherweise für verwerflich hält. Ich sehe das als eine ernsthafte Bedrohung, nicht nur für den akademischen Alltag an Universitäten, sondern auch als Bedrohung für eine demokratische Gesellschaft insgesamt. Mein Eid auf das deutsche Grundgesetz verpflichtet mich, dieser Entwicklung entgegenzutreten. Mit meiner Unterstützung des Statements leiste ich dazu einen kleinen Beitrag.
4) Ich halte es für höchst bedenkenswert, wenn im Jahr 2024 in Deutschland jüdischen Vereinigungen Bankkonten gesperrt werden (siehe hier) und Juden aufgrund ihrer politischen Haltung inhaftiert werden (siehe hier). Spätestens hier sollten denjenigen, die bei jedweder Kritik an Israel reflexhaft den überaus schweren Vorwurf des Antisemitismus bemühen, Zweifel an Ihren eigenen Positionen kommen.
Zu der angesprochenen Kritik [dass in dem Statement Bezug auf die angekündigte Bombardierung Rafahs und Verschärfung der humanitären Krise in Gaza genommen wird, während der Hamas-Terrorangriff vom 7. Oktober und das Schicksal der Geiseln keine Erwähnung findet; nachträgliche Anmerkung des Autors]:
1) Als Kriegsdienstverweigerer und bekennender Christ habe ich eine pazifistische Grundhaltung. Daher verurteile ich jegliche Form von Gewalt, insbesondere Gewalt gegen Zivilisten. Darunter fällt, selbstverständlich, auch der Angriff vom 7. Oktober. Des weiteren verurteile ich jegliche Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, wie etwa Rassismus, Antisemitismus oder Islamophobie.
2) Der Angriff vom 7. Oktober ist für die Frage, ob friedlicher Protest an deutschen Hochschulen mit Polizeigewalt unterdrückt werden sollte, unerheblich. In dem Statement geht es vornehmlich um Ereignisse in Deutschland, nicht die Ereignisse im Nahen Osten. Für eine Unterstützung des Statements ist daher die Tatsache, dass dieser Angriff darin unerwähnt bleibt, irrelevant.
Weiterführende Links
-
[We] decidedly condemn any and all forms of defamation expressed on social media against the signatories of the open letter, in particular the libelous reporting in the Bild newspaper. As we see it, this kind of reporting is an attack on the freedom of opinion and academic freedom and something the university management finds unacceptable. We are therefore considering legal action based on relevant press legislation.
aus Statement des Executive Board of FU Berlin vom 13. Mai 2024, siehe auch hier -
Als Dozent*innen haben wir ein Ethos: Wir sind in diesem Beruf, um zu lehren, um Fehler zu tolerieren und dann zu korrigieren und um sehr jungen Menschen, die zu uns kommen, den Weg in ihre Zukunft zu ebnen. Es bleibt das bedrückende Gefühl, dass wir als Lehrende versagt haben, wenn unsere Studierenden von der Polizei abgeführt werden.
aus Tagesspiegel-Artikel: Pro-Palästina-Proteste in Berlin: Wer, wenn nicht Studierende – wo, wenn nicht an Universitäten? -
Es ist die Aufgabe von uns Lehrenden, hier gemeinsam mit den Studierenden Strategien zu durchdenken, die friedlichen Protestaktionen Raum geben und gleichzeitig die Latenz und Gefahr des Antisemitismus genauer im Blick haben. Dazu gehört aber auch, zu klären was nicht antisemitisch ist, gerade weil fast jedes Sprechen über den Konflikt so toxisch ist und das Begriffsarchiv des außerparlamentarischen Widerstands diskreditiert wirkt.
(ibid.) -
Differenzierung und ein selbstreflexiver kritischer Diskurs, in dem es auf Basis von Sachkenntnis und Argumenten darum geht, auch heikle und schwierige Fragen zu verhandeln - das ist der Kern der Universität. Das darf man nicht zur Disposition stellen, sonst können wir den Laden gleich ganz dichtmachen.
aus rbb-Interview mit FU-Professor Robin Celikates zu Pro-Palästina-Protesten -
What is a divest?
aus Sammy Obeids Comedy-Show -
Kritischer Diskurs ja, Antisemitismus nein
aus Statement der Ruhr-Uni Bochum vom 16. Mai 2024 -
Versammlungsfreiheit ist das Recht auf Dissens, auf abweichende Meinung. Grenzen setzt das Strafrecht und nicht die Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland oder eine Beeinträchtigung der außenpolitischen Belange Deutschlands. Dabei haben die Protestierenden grundsätzlich das Recht, Zeit, Ort, Dauer, Mittel und Form des Protestes selbst zu wählen.
aus Bundespressekonferenz 2024, Studentenproteste gegen Krieg in Gaza: Statement von Professoren vom 21. Mai 2024